Montag, 6. August 2012

Meine Mutter & ich

Um es vorweg zu nehmen: Das Verhältnis zu meiner Mutter war UND ist schwierig. Aber ich liebe sie, wahrscheinlich zu sehr.

Ich erinnere mich, dass mir in der Kindheit die Liebe fehlte. Vor allem die Liebe in Form von Zuneigung und Zärtlichkeit. Mal gedrückt zu werden, mal einen Kuss zu bekommen. Das fehlte. Aber vielleicht ist sie auch einfach nicht der Typ Mensch, der Liebe in dieser Form ausdrücken kann. Das muss ich dann akzeptieren. Das sehe ich heute so - als Kind habe ich das als absoluten Mangel empfunden. Zwar erzählte sie heute, dass ich nie am Sonntagmorgen mit den Eltern kuscheln wollte, doch kann ich das gar nicht recht glauben.

Aber sie hatte auch wenig Zeit, als Karrierefrau. Und wenn sie dann Zuhause war, musste der Haushalt perfekt auf Vordermann gebracht werden. Und wenn sie mal mit mir spielte, war die Hektik Spielbegleiter, unruhig und nicht bei der Sache. Irgendwas musste immer noch nebenbei gemacht werden. Klar dass sie heute erzählt, ich hätte mich super mit malen, puzzeln oder Puppen allein beschäftigt. Darauf war und ist sie stolz!

Um es aber nicht nur schwarz zu malen: Wir haben als Familie auch viele Ausflüge gemacht. Und ab der Schulzeit hat sie in den ersten Jahren die Hausaufgaben mit mir gemacht. 

Meine Oma war ja da. Sie hatte Zeit für mich und meine Kindheitsbedürfnisse.

Meine Mutter ist sehr auf Äußerlichkeiten bedacht - und auf die Funktion. So war es ihr immer wichtiger zu sehen, was ich als Kind vorweisen kann, als mich grenzenlos zu lieben. Denn auch in Sachen Verständnis und Einfühlungsvermögen war die Liebe selten bis gar nicht vorhanden - so mein Empfinden. Sie forderte nur von mir - und mit Glück erhielt ich für eine Leistung Anerkennung. Und so strebte ich immer mehr danach, diese Art der Liebe zu ergattern: Ich versuchte mit Leistung zu punkten. Sei es in der Schule, beim Geigenunterricht oder in meiner Art selbst. Doch irgendwann reichte das nicht mehr aus. Und so mussten andere Wege her, um irgendwie die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Sie sollte doch sehen, dass ich da bin! 

Denn tatsächlich fühlte ich mich mehr und mehr zurückgestellt. Nur bei zu kritisierenden Punkten, da war ich plötzlich da. Aber Lob und Anerkennung, das ging verloren - egal, was ich mir einfallen ließ.
Wollte ich z. B. am Sonntagnachmittag meine Eltern nach ihrem gewöhnlichen Spaziergang mit gedecktem Kaffeetisch und selbstgebrühtem Kaffee überraschen, erntete ich statt Freude und Zuspruch nur Kritik, da der Kaffee zu dünn sei.

Und so wurde ich immer kleiner und unscheinbarer. Es sei denn, ich erfüllte nicht ihre Erwartungshaltung. Dann kannte sie meinen Namen.

Ich lief halt so nebenher, ich war halt einfach da. Zur Begrüßung kein Kuss, keine Umarmung, wenn meine Mutter nach Hause kam. Stattdessen lautes Rufen von unten "Hast du dies & jenes schon gemacht?". 

Klar, dass sie dann wütend wurde, wenn ich allein aus Protest  ihre Forderungen nicht mehr erfüllte. Und da sie keinen Zugang mehr zu mir hatte, wusste sie sich in der rebellischen Zeit in Sachen Erziehung nicht weiter zu helfen und ließ mich (mehr oder weniger) gehen.



Heute haben wir ein relativ gutes Verhältnis auf anderem Niveau. Ich bin eben eigenständig, und so sieht sie mich auch - manchmal.

So richtig intensiv wurde das Verhältnis etwa 2006 wieder. 
Ich rief sie fast täglich an, um ihr von meinem Tag zu berichten, ihr zu erzählen, was ich in der Ausbildung gelernt habe, wer mich wie dort gelobt hat ... Ihr seht, ich kämpfte weiterhin um Anerkennung, die ich aber nicht bekam. Das geschah natürlich nicht wortlos, ein "Mjaa, ist ja gut..." kam da schon hin und wieder über ihre Lippen. Aber im Kontakt mit Verwandtschaft und Bekanntschaft, da konnte sie Gutes von mir erzählen. Natürlich, man muss sich ja irgendwie profilieren. Ihre Kollegen oder sonst wer, die machen das ja auch. Und was deren Kinder alles können und machen, wow! So kenn' ich das - noch heute und schon immer. DIE ANDEREN, die sind so unglaublich toll und so gut. Und ich? Ich kann nichts. Gefühlte 100000000000 Mal habe ich das in dieser Variation gehört, doppelt so oft in anderen.

Aber um darauf zurück zu kommen: Wir telefonierten nahezu täglich, durch meine Initiative. Sie hingegen rief meist nur an, wenn sie irgendwas wollte. Ob ich krank war, Prüfungen hatte oder es sonstige Vorfälle gab, bei denen man doch mal nachfragt, ob es einem gut geht o. Ä.: Es kam nichts. Ich wartete wieder und wieder vergebens und es wollte sich einfach nicht in mein Hirn einbrennen, dass sie so ist, wie sie ist. Nämlich ohne wirkliches Interesse an mir. Und da ich es einfach nicht verstehen wollte, kam jedes Mal wieder die Enttäuschung. 

Wenn meine Tochter erstmal da ist, dann wird sich alles ändern. Sie wird sich besinnen, ganz bestimmt!
Äähh ja, Träume soll man haben. Und Illusionen schützen auch manchmal.
Aber nichts war so. Sicher rief sie ab und an mal selbst an, aber ich erhoffte mir mehr. Mich besuchen? Neeein, wie auch. Man findet so schlecht Parkplätze bei mir. Oder aber die Zeit ist nicht da. Klar, versteh ich. Total. So sah ich mich eben gezwungen, immer wieder hinzufahren und sie zu besuchen. Sie sollte was von ihrem Enkelchen haben - und meine Tochter von ihr. 8290 Mal musste ich gedanklich auf die Knie fallen, wenn sie meiner Tochter mal eine Kleinigkeit gekauft hat. Schließlich hatte sie dadurch schon wieder mehr ausgegeben, als sie eigentlich wollte. Ouuuh ja.

Seit gut einem Jahr rufe ich nur noch sehr sehr selten an. Ich weiß auch nicht, warum. Aber es geht mir gut so - und ich vermisse es nicht. Doch nun kommen die Vorwürfe ihrerseits: "Na du meldest dich ja auch nicht mehr" ; "Du willst wohl nichts mehr von uns wissen" ...  Ein leichtes, fieses Grinsen geht mir dann über die Lippen.

Ja, so hat sich der Spieß ein bisschen gewendet. Aber trotz allem hat sich grundlegendes nicht geändert. Sie meldet sich weiterhin kaum von allein, ein Besuch bei mir ist meist mittels Ausreden unmöglich. Und Interesse? Fehlanzeige. Sofern wir telefonieren, höre ich den Föhn, da sie sich ja just in diesem Moment dringend die Haare waschen & föhnen muss oder aber auch gern die Dunstabzugshaube. Lustige Telefonate, sage ich euch.
Und es ist eben so, dass sie an meinem Leben nicht teilhaben will. Es interessiert sie nicht, was ich wie und wann mache. Ich kann zig Mal sagen, wann ich welche Prüfung habe - es wird nicht nachgefragt, wie es gelaufen ist, da vergessen. Gleiches mit meiner Tochter bei Krankheit oder Entwicklungsfortschritten. Keine Nachfrage, kein Vergewissern.

Gut, vielleicht ist sie einfach so. Vielleicht kann sie vieles nicht zeigen. 
Aber bei meinem Bruder, da geht das. Da weiß sie genau, wann er wie und was macht, sie weiß bestens über sein Studium Bescheid und erzählt mir immer, wie schwer er es hat - allein in einer fremden Stadt studieren. Meinem Bruder gönne ich alles. Neid gibt es da nicht. Ich freue mich mit ihm.
Aber es kommt Wut in mir hoch, wenn ich immer wieder sehen muss, wie sehr er von meiner Mutter bevorzugt wird. Er, der Kleine. Mich ärgert das und es führt immer wieder dazu, dass ich mich selbst analysiere und mich frage, was so verkehrt an mir ist. Was ich tun muss, damit ich die gleiche Aufmerksamkeit bekomme. Es ist so ätzend.

Geld ist ebenfalls ein vorherrschendes Thema. Meine Eltern verdienen gut. Aber es wird immer wieder gejammert, man habe nicht viel Geld. Es werden mir Stories erzählt, die ich zwar hinnehme aber dennoch weiß, dass sie nicht stimmen. Ich soll eben nicht wissen, dass es ihnen finanziell gut geht. Schließlich könnte ich Ansprüche stellen, mal um Geld bitten. Und aus diesem Grund werde ich dreist angelogen. So hat mein Bruder sich z. B. Sämtliches bisher allein gekauft, vom Taschengeld und später vom Jobben. Unmöglich. Aber um sinnlosen Endlosdiskussionen, bei denen ich doch nur wieder Lügen höre, aus dem Weg zu gehen - stelle ich mich dumm und scheine die netten Geschichten zu glauben.

Gehen wir heute gemeinsam auf eine Feierlichkeit, werde ich bei der Begrüßung kritisch gemustert. Erfülle ich den Standard? Sehe ich angemessen aus? Und dies, obwohl ich in einem Telefonat kurz zuvor gebeten wurde, mich vernünftig zu kleiden. Erbärmlich. Zwar bin ich nach wie vor nicht das biedere Rüschenkleidchenmädchen, aber laufe auch keinesfalls verloddert rum.  Hier sieht man eben auch wieder: Die Wirkung nach außen ist das Allerwichtigste. Anstatt mich einfach mal zu akzeptieren wie ich bin. Ich bin doch eigenständig, erwachsen. 




Stundenlang könnte ich so weiterschreiben. Letztlich möchte ich nur, dass ihr einen Einblick erhaltet. Wie es mir erging, wie ich mich fühlte - und wie es heute ist. Denn das alles ist das Grundgerüst meiner Verfassung.

Ich wünsche mir, dass ich meine Mutter irgendwann nicht mehr als den Nabel der Welt sehe, mich von den Marionettenfäden befreie und ich sein kann. Ich so wie ich bin - ohne die Angst im Nacken, ich sei für meine Mutter nicht gut genug. Zwar ist das ein langer Prozess, aber dieser beginnt mit kleinen Schritten. Und jeder noch so kleine Schritt in diese Richtung gibt meiner Person und meinem Leben mehr Charakter und Schönheit. Ich würde mich freuen, wenn ihr mich auf diesem Weg begleitet.

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